TI-Prozess – Widerstand braucht Zeit
Sozialgericht uneinsichtig / Marsch durch die Instanzen notwendig
In Bayern sind bis aktuell ca. 2800 Ärzte und Psychotherapeuten und ca. 200 Zahnärzte nicht an die TI angeschlossen und werden deshalb jedes Quartal mit einem Honorarabzug von anfangs 1 % und zurzeit 2,5 % bestraft. Die meisten der Betroffenen verweigern den Anschluss an die TI zum Schutz ihrer ärztlichen Schweigepflicht und aufgrund des mangelhaften Datenschutzes bei den Anwendungen innerhalb der TI.
Am 26.01. wurde die Klage von Dr. Gernot Petzold, Vorstandsmitglied des BFAV über die Zulässigkeit der Sanktionen vor der 38. Kammer am Sozialgericht München verhandelt. Letztendlich hat es fast 3 Jahre von der Klageeinreichung bis zur Verhandlung gedauert. Der BFAV finanziert diese Klage mit dem Ziel, in einem Musterverfahren die Verletzung von verfassungsrechtlichen Grundsätzen und berufsfreiheitlichen Rechten durch den Zwangsanschluss an die TI festzustellen. Im Ergebnis dann wenig überraschend erfolgte wie in drei Vorverfahren Klageabweisung. Erst im November hatte der Vorsitzende Richter des Verfahrens bereits diese Rechtsmeinung vertreten. Daran hat sich leider nichts geändert. Die Entscheidung müsse laut seiner Einschätzung wohl als Grundsatzurteil auf höherer Ebene fallen.
Wer sich am Prozesstag zu früher Stunde in die Warteschlange der von weit angereisten betroffenen Ärzte einreihte, konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass an einer großen Öffentlichkeit seitens der Justiz wenig Interesse bestand. Lediglich 10 Zuhörer durften nach dem „Windhundprinzip“ und sorgfältiger Sicherheitsüberprüfung im mehrfach zwangsgelüfteten Sitzungssaal gut eingepackt in Wintermäntel absolut schweigend teilnehmen.
Langer Instanzenweg
Bereits eingangs verweist Richter Rieger auf den negativen Ausgang der bisherigen Sozialgerichtsprozesse in Stuttgart, Hannover, Mainz und München, allerdings mit dem Hinweis, dass die Gesamtproblematik wohl erst nach einer Verfahrensdauer „von 5 bis 10 Jahren“ vor dem BSG oder sogar aufgrund der Grundgesetz-Problematik endgültig vom Bundesverfassungsgericht oder dem EuGH entschieden werde. In der nächsten Runde bestritten die beiden Vertreter der beigeladenen Gematik, dass die klägerseits vorgetragene Kritik des Chaos Computer Clubs (CCC) über missbräuchliche Erwerbsmöglichkeiten des Heilberufsausweises in der Praxis nicht vorgekommen sei. Es handle sich hier um ein „rein akademisches Szenario“ und Heilberufsausweis-Erschleichung sei „kein Thema“. In der dazu folgenden längeren Diskussion über die Sicherheitsanforderungen der Konnektoren wird seitens der Gematik argumentiert, diese seien exakt nach dem Sicherheitsprotokoll des BSI. Konnektor und Gematik seien nicht für Praxis-IT verantwortlich. Eingeräumt wird von den Gematik-Vertretern (Holm Diening und André Schmolke) allerdings Konnektoren hätten keinen physikalischen Schutz.
Stand-alone für erhöhten Finanzierungsaufwand noch möglich?
Auf die Nachfrage des Klägervertreters RA Redecker zum Thema, zur Abschaffung der früheren „Stand alone-Lösung entgegneten die beigeladenen Gematik-Vertreter dass das Konzept des Notfall-Datenmanagement eine Verbindung mit dem Internet notwendig mache, um die Zertifizierung des Befüllers der Notfalldaten zu verifizieren (Signatur). Im Übrigen könne sich nach wie vor jeder Arzt eine Stand Alone Lösung selbst bauen, um dem Versichertenstammdaten-Management genüge zu tun. Allerdings bedürfe es dazu eines weiteren Konnektors (nicht erstattungsfähig) und eines PC, der nicht in das Praxisnetz integriert ist. Dieser Umstand war - so der Eindruck am Verhandlungstisch - den Vertretern der KVB unbekannt, da offiziell die Stand Alone Lösung im Herbst 2019 abgeschafft worden ist.
VSDM-Dilemma
Weiteres Thema im Prozess ist das Versichertenstammdatenmanagement (VSDM). Hierzu erläuterten die Gematik-Vertreter, dass von der Praxis keine Daten weggeschickt würden. Es werde lediglich die Karten-Nummer verschlüsselt an die Krankenkasse gesendet. Wenn dort ein veränderter Datensatz vorläge - zum Beispiel geänderte Adresse - dann würde dieser neue Datensatz verschlüsselt an das Kartenlese/schreib-Gerät der Praxis zurückgesendet und die Karte neu beschrieben. Für die Klägerseite ist es deshalb völlig überzogen, das Prinzip der Telematikinfrastruktur mit allen seinen negativen Folgen für die Ärzte (einschl. Honorarabzug) zu installieren, nur um geänderte Adressdaten auf den Karten zu korrigieren, das könne viel einfacher und mit deutlich weniger Aufwand in den Geschäftsstellen der Krankenkassen erfolgen.
Teurer Konnektorentausch
Der zwischenzeitlich angeordnete Austausch von Konnektoren, der aufgrund nicht erfolgter Zertifikatverlängerung erfolgt, kostet einen höheren zweistelligen Milionen- Eurobetrag und wird von vielen problematisch gesehen. Laut Auskunft der Gematik dazu handelt es sich hier um einen „freien Markt“. Da habe die Gematik keine Handhabe. So kam der Konnektorentausch zustande. RA Gematik, André Schmolke: Dieser Konnektorentausch war dennoch nicht unbedingt vorhersehbar und sei keinesfalls 2019 ein Grund gewesen, um den Anschluss an die TI zu verweigern. Festzuhalten ist in diesem Kontext: Die Gematik ist eine private Gesellschaft, in der auch die Interessen der Gesellschafter und des Beirats vorrangig beachtet werden.
Wertvolle Patientendaten schützen
In seinem Schlussplädoyer schildert der Kläger Dr. Gernot Petzold: Seit 36 Jahren niedergelassen, seit 22 Jahren Betrieb in einer voll digitalisierten Praxis und einem komplexem internen Netzwerk mit Datensätzen von 56.000 Patienten. „Ich bin mit meinem Praxisserver nicht an das Internet angeschlossen, dafür halte ich einen separaten PC vor. Der Nichtanschluss meines Praxisservers an das Internet dient allein den Schutz der Patientendaten, um Hackerangriffe prinzipiell unmöglich zu machen. Die ärztliche Schweigepflicht ist eines der höchsten Güter in der Arzt-Patienten-Beziehung. Solange technisch und rechtlich keine anderen Möglichkeiten bestehen, die einen sicheren Anschluss an eine Vernetzung unter den Ärzten gewährleisten, möchte ich mich nicht an das Telematiknetz anschließen. Die Anwort des beigeladenen Gematik-Vertreters Diening lautet lapidar: „ich kann mir vorstellen, wie schwierig es ist, etwas zu machen, von dem ich nichts verstehe. Das ist ein Dilemma. Es berechtigt aber nicht zu dem pauschalen Vorwurf, das System sei unsicher.“
Honorarabzug „nicht zielführend“
Die beklagte KVB bedauert ausdrücklich als „Interessenvertretung der Ärzte“ die Auseinandersetzung. Sie begleite die TI sehr kritisch und bemängele die fehlende Praktikabilität, es fehle der Mehrnutzen für die Ärzte, wir sind auch Interessenvertretung der Ärzte. Der Honorarabzug sei „nicht zielführend“, aber als „Körperschaft des öffentlichen Rechtes“ und müsse sie Gesetze befolgen. Abschließend bedankte sich Richter Rieger nach fast fünfstündiger Verhandlung bei den Zuhörern - deutlich erleichtert, dass alles ruhig verlief. Er hatte wohl ein militantes Publikum befürchtet. Dr. Gernot Petzold seinerseits zeigte sich über das das breite öffentliche Interesse auch in den Medien (SZ, Deutsches Ärzteblatt, Stern) sehr erfreut. Trotz der vom Richter verfügten sehr begrenzten Teilnahmemöglichkeit hatten viele Kollegen ihre Praxis aus Solidarität geschlossen und sind nach München gefahren, um zu zeigen, dass die Telematik Infrastruktur nicht ein Problem von einigen wenigen ist.
Kritisch sieht der Kläger die Verhandlungsführung des Vorsitzenden der 38. Kammer des Sozialgerichtes, weil er einerseits einen Sachverständigen nicht zugelassen hat und andererseits die Ausführungen der Gematik-Vertreter ähnlich denen von Sachverständigen würdigte. Kaum überraschend sei der Vorsitzende Richter und ihm folgend die Kammer in der Urteilsbegründung nicht von seinem Urteil im November bei der Verhandlung der Zahnärzte zur TI abgewichen.
Der Vorstand des BFAV wird das Urteil im Detail analysieren und dann beschließen inwieweit der weitere Gang durch die Instanzen als Musterverfahren finanziert wird.
Gernot Petzold
im Namen des Vorstandes BFAV