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Erstellt von Dr. med. Karl Ebertseder |

Roll-out der Telematik-Infrastruktur – Die »sichere Datenautobahn« – der BER des Gesundheitswesens?

Unter der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt wurde 2003 im sog. »GKV-Modernisierungsgesetz« das Projekt einer auf der sog. elektronischen Gesundheitskarte (eGK) basierenden zentralen Telematik-Infrastruktur (TI) im SGB-V verankert.

Das ambitionierte Ziel war, alle rd. 200.000 niedergelassenen Ärzte, Psychotherapeuten und Zahnärzte, rd. 15.000 Krankenhäuser und rd. 21.000 Apotheken in Deutschland über eine sichere Internet-Verbindung zentral zu vernetzen und - über ein verpflichtendes online-Versichertenstammdaten-Management (VSDM) - mit den Krankenkassen zu verbinden.

Als verantwortliche Ausführungsbehörde wurde 2005 die GEMATIK (=Gesellschaft für Telematik-Anwendungen der Gesundheitskarte mbH) geschaffen, in der die Organisationen der „Leistungserbringer“, d.h. Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), Bundesärztekammer, Bundeszahnärztekammer, Deutsche Krankenhausgesellschaft und der Deutsche Apothekerverband einerseits, und der Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) anderseits jeweils 50% Stimmenanteil haben.

Das als „digitale Datenautobahn“ für das deutsche Gesundheitswesen gepriesene Projekt entwickelte sich jedoch zu einer 15-jährigen Dauerbaustelle, in die bislang nach realistischen Schätzungen mehr als 2 Milliarden Euro versenkt wurden.

Kritiker vergleichen das Projekt mit dem skandalträchtigen Pannen-Projekt des Großflughafens Berlin-Brandenburg (BER), oder anderen „ewigen Baustellen“.

Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) - als Zugangsticket für die TI - sollte ursprünglich bereits zum 01.01.2006 flächendeckend die früheren Versichertenkarten ersetzen. Den Zuschlag für die Karte erhielt ARVATO-Systems, eine Tochter der Bertelsmann-Gruppe, die über ihre Bertelsmann-Stiftung die Idee der „Digitalisierung des Gesundheitswesens“ bei politischen Entscheidungsträgern und in der Öffentlichkeit einflussreich begleitet. Tatsächlich gelang ein sog. Roll-out der eGK samt dafür nötigen neune Lesegeräten aber erst 2011, allerdings nur als offline-Version. Die sog. eGK war zunächst nicht mehr als die bisherige Versichertenkarte auch, nur jetzt mit aufgedrucktem Foto.

Erste Feldtests zur Anwendung in der Praxis verliefen 2008 so desaströs, dass Ende 2009 unter Gesundheitsminister Philipp Rösler vorübergehend sogar ein Moratorium für das Projekt verhängt wurde. Auch die erneuten abgespeckten Feldtests 2016 (ohne eRezept), die in einer der beiden vorgesehen Testregionen (Süd-Ost, d.h. Bayern und Sachsen, beauftragt war hier T-Systems) wegen technischer Schwierigkeiten gar nicht durchgeführt werden konnten, waren wohl auch nicht gerade berauschend, und die Ergebnisse wurden auch nur schwer zugänglich überhaupt publik gemacht.

Vor der Bundestagswahl 2017 kursierten bereits Gerüchte, dass das weiterhin unvollendete Projekt nach der Wahl beerdigt werde. Der nach der verzögerten Regierungsbildung im März 2018 ins Amt gekommene neue Bundesgesundheitsminister Jens Spahn schien jedoch zunächst am harten Kurs seines Vorgängers Gröhe festhalten zu wollen.

Die Politik macht Druck

Allen technisch bedingten Problemen und Verzögerungen bei der praktischen Umsetzung zum Trotz wurde das Projekt von der Politik auf der Gesetzgebungsebene hartnäckig weiter vorangetrieben. Der 2003 eingeführte § 291a SGB-V (der die Telematik-Infrastruktur regelt) wurde so über die Jahre auf inzwischen sagenhafte 4 ½ eng bedruckte DIN-A-4-Seiten aufgebläht.

2015 griff der damalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe zur gesetzgeberischen Brechstange, um das stockende und durch den enormen Zeitverzug inzwischen auch arg in die Jahre gekommene „weltweit größte IT-Projekt“ – dessen Sinnhaftigkeit zunehmend auch von prominenten Kassenvertretern in Zweifel gezogen wurde - endlich doch noch zum Laufen zu bringen, mit dem „Gesetz für die sichere digitale Kommunikation im Gesundheitswesen“ (sog. eHealth-Gesetz), in Kraft getreten zum 01.01.2016.

Darin wurde ein straffer Zeitplan für die Einführung der TI gesetzlich verordnet : Bis zum 01.07.2018 sollten alle Praxen an die TI angeschlossen sein und das VSDM durchführen, unter Androhung empfindlicher Sanktionen in Form von 1% Honorarabzug für die KVen - die diese mit freundlicher Empfehlung an ihre Vertragsärzte, d.h. an die Praxen, weiterreichen.

Um bei den eher skeptischen niedergelassenen „Leistungserbringern“ die Akzeptanz für den Anschluss an die TI zu erleichtern, wurden die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet, die Kosten für die Erstausstattung der Praxen und den Betrieb der TI „in voller Höhe“ zu übernehmen.

Die technischen Herausforderungen in der Praxis – Konnektoren und neue Kartenleser

Wie sieht der TI-Anschluss nun konkret in der Praxis aus?

Damit die Praxis an die TI angeschlossen werden kann, werden folgende Komponenten benötigt:

1. Ein QES-fähiger Konnektor (QES= qualifizierte elektronische Signatur).

2. Ein stationäres e-Health-Kartenterminal inkl. Smartcard vom Typ SMC-B.

3. Bereitstellung und Betrieb eines VPN-Zugangsdienstes.

4. Installation und Inbetriebnahme durch den PVS-Dienstleister vor Ort, inkl. Einweisung und Schulung des Praxispersonals.

5. Service-Vertrag für die laufende Wartung des Systems.

Der Zugang zur TI erfolgt über einen sog. Konnektor. Er stellt ein virtuelles privates Netzwerk (VPN) zur TI her, über das die Verbindung unter Einsatz moderner Verschlüsselungstechniken abgeschirmt vom normalen Internet erfolgt. Der Konnektor ist also im Prinzip ein DSL-Router, der allerdings auf einem deutlich höheren Sicherheitsniveau arbeitet. Um dieses Sicherheitsniveau zu garantieren, muss der Konnektor spätestens alle 5 Jahre ausgetauscht werden – „Sicherheit“ im Internet hat ja immer ein zeitliches Verfallsdatum, d.h., die „sichere Verschlüsselung“ steht in stetigem Wettlauf mit den Fortschritten der Entschlüsselungstechnologie.

Der Konnektor muss theoretisch in einem abgesicherten Raum betrieben werden, der nur von berechtigtem Personal betreten werden darf.

Der Konnektor wird mit den neuen stationären Kartenlesegeräten über die Netzwerkverkabelung verbunden. D.h., die Kartenlesegeräte sind nicht mehr wie bisher über ein USB-Kabel einfach an den Praxiscomputer an der Anmeldung angeschlossen, sondern über den in das Praxis-Netzwerk eingebundenen Konnektor. Fällt der Konnektor aus technischen Gründen aus, ist ein Einlesen der Versichertenkarte nicht mehr möglich. Die einzige Möglichkeit wäre dann noch das mobile Lesegerät.

Die neuen Kartenterminals sind notwendig, da die ursprünglich 2011 flächendeckend für die eGK ausgelieferten Lesegeräte durch die zeitliche Verzögerung im Projekt schon heute nicht mehr die aktuellen Sicherheitsanforderungen erfüllen.

Für die TI benötigen Praxen einen speziellen, von der GEMATIK zertifizierten VPN-Zugangsanbieter – ähnlich einem KV-SafeNet oder Internetprovider. Dieser übernimmt die Wartung und die regelmäßigen Updates des Konnektors und der Kartenterminals.

Einziger Anbieter ist ARVATO-Systems, ein Unternehmen des Bertelsmann-Konzerns.

Erforderlich für den TI-Anschluss ist eine sog. Security Module Card Typ B (SMC-B Karte) als Praxisausweis. Diese Karte wird bei der Installation der TI-Technik dauerhaft und versiegelt in das Kartenterminal gesteckt und über einen 6-stelligen PIN freigeschaltet. Bei jedem Einschalten des Konnektors muss diese PIN erneut eingegeben werden. Nur so kann der Konnektor eine Verbindung zur TI aufbauen. Diese Praxisausweise müssen maximal nach 5 Jahren ausgetauscht werden. Für die erst in Zukunft verfügbaren neuen mobilen Kartenterminals wird dann später jeweils ein weiterer Praxisausweis benötigt.

Alle für die TI erforderlichen Komponenten dürfen natürlich nicht einfach per Post oder normale Lieferdienste verschickt werden, sondern nur über eine sog. sichere Lieferkettemit Transport durch Sicherheitsdienste mit speziell ausgebildeten und zertifizierten Mitarbeitern.

Was bringt der TI-Anschluss in der Praxis?

Die erste – und zunächst einzige – Funktion des TI-Anschlusses ist das Versichertenstammdaten-Management (VSDM). Dieses muss obligatorisch von jeder Praxis bei jedem Erstbesuch eines Patienten im Quartal durchgeführt werden, obwohl allenfalls wenige Prozent der Karten überhaupt aktualisiert werden müssen

Während bisher der Versicherungsnachweis bei Einstecken der Versichertenkarte in das Kartenlesegerät direkt in das Praxisverwaltungssystem ( PVS) übernommen wurde, funktioniert die Prozedur künftig so: eGK ins Lesegerät stecken -> Herstellung der online-Verbindung zum Krankenkassen-Server über den Konnektor -> Abgleich der Stammdaten mit dem Kassen-Server -> Übernahme des geprüften und ggf. geänderten Versicherungsnachweises in das PVS der jeweiligen Praxis.

Lt. Aussage der CompuGroup soll der Vorgang mit etwas mehr als 3 Sekunden fast genauso schnell sein wie im bisherigen Verfahren, und wenn die Stammdaten geändert werden müssen, soll es auch nur doppelt so lang, d.h. 6,5 Sekunden dauern. Aus Praxen, die bereits angeschlossen sind, hört man allerdings z.T. deutlich längere Einlese-Zeiten. Ein Problem sind derzeit auch die vielen noch im Umlauf befindlichen älteren eGKs, die gar nicht eingelesen werden können – hier muss dann das Ersatzverfahren angewendet werden.

Das VSDM ist im Grunde eine Verwaltungsaufgabe der jeweiligen Krankenkasse, die über den Anschluss an die TI in die Praxen ausgelagert wird. Bedenken, dass der Stammdatenabgleich es den Krankenkassen ermöglicht, ein Bewegungsprofil der Patienten zu erstellen, werden offiziell zerstreut mit der Versicherung, dass dieser Abgleich – wie auch immer - anonymisiert erfolgen soll.

Als weitere geplante Anwendungen der TI sollen in naher Zukunft das Notfalldatenmanagement und der (bisher nur in Papierform existierende) elektronische Medikationsplan eingeführt werden. Dafür ist dann in jedem Behandlungszimmer ein eigenes Kartenlesegerät erforderlich, und ein elektronischer Heilberufe-Ausweis für die sog. qualifizierte elektronische Signatur (QES).

Dieser ist ebenfalls Voraussetzung für die Versendung elektronischer Arztbriefe.

Das ursprünglich als besonders wichtig herausgestellte elektronische Rezept (eRezept) wurde – nach den desaströsen Erfahrungen der Feldtests 2008, und zumal ein TI-Anschluss der Apotheken auch noch nicht absehbar ist - bis auf weiteres zurückgestellt. Es gibt bislang noch nicht einmal eine Finanzierungsvereinbarung mit dem Apotheker-Bundesverband. Ebenso wenig kam es bisher zu einer Vereinbarung zwischen dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).

Ob letzteres daran liegt, dass die DKG und der Apotheker-Bundesverband mehr Verhandlungs-Standing gegenüber den Kassen haben als die KBV, das sei dahin gestellt. Das Versprechen, dass die TI endlich eine „sektorenübergreifende digitale Kommunikation“ ermöglichen würde, muss jedenfalls zunächst noch zurückstehen.

Degressive Finanzierungspauschalen

Die im Gesetz formulierte Verpflichtung der Krankenkassen, die Kosten für die Einführung der TI in voller Höhe zu übernehmen, setzte die „gemeinsame Selbstverwaltung“ auf Bundesebene (KBV und GKV-Spitzenverband) jedenfalls rechtzeitig zum gesetzlich verordneten Start der TI Ende 2017 um. Man erkennt in dieser Vereinbarung das bekannte Muster wieder: Die Kassen „bezahlen alles“, theoretisch – in der Realität allerdings nur mit Abschlag (ähnlich den uns Kassenärzten bestens bekannten Regressen, Budgets und „Auszahlungsquoten“).

In der TI-Finanzierungsvereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und dem Spitzenverband Bund der gesetzl. Krankenkassen wurden Förderpauschalen vereinbart, wobei eine degressive, d.h. von Quartal zu Quartal sinkende Erstattung für den Konnektor festgelegt wurde, beginnend mit dem IV. Quartal 2017. Dies wurde offiziell damit begründet, dass aufgrund zu erwartender Konkurrenz mehrerer rasch auf den „Markt“ drängender Anbieter mit einem Preisverfall beim Konnektor zu rechnen sei. Diese Annahme erwies sich jedoch schnell als falsch. Die KBV bemüht sich deshalb jetzt seit Monaten um eine Nachverhandlung mit den Kassen – bislang ohne Erfolg.

Aktuell ist nach wie vor nur ein einziger Konnektor verfügbar - der KoCo-Connector der CompuGroup. Angeblich will aber im Laufe der zweiten Jahreshälfte auch T-Systems (ein Unternehmen der Deutschen Telekom) einen Konnektor anbieten, sowie die österreichische Firma RISE („Research Industrial Systems Engineering“), die eigens von der GEMATIK beauftragt wurde, auch einen Konnektor zu bauen und zertifizieren zu lassen, um die beschworene „Marktvielfalt“ herzustellen.

Die Fehlkalkulation der KBV, dass die Preise für die Konnektoren rasch deutlich sinken würden, kam für Branchenkenner indes nicht überraschend.

Grund dafür ist nicht nur eine fehlende Konkurrenz unter mehreren Anbietern, sondern auch die im internationalen Maßstab sehr überschaubaren Stückzahlen für die exklusiv deutsche TI-Lösung (der vor Jahren erwartete „Exportschlager“ blieb ja leider aus) und die hohen Kosten für die Zertifizierungsprozedur. Das Konnektoren-Geschäft ist für Firmen (zumal, wenn sie nicht gleichzeitig auch im PVS-Markt gut aufgestellt sind, wie die CompuGroup) nicht attraktiv.

Die Erstattungspauschalen betragen z.Zt. im II. Quartal 2018 für den Konnektor noch 1.605,04 Euro, die Gesamterstattung (die über die KV-Abrechnung ausgezahlt wird ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Durchführung des VSDM) einschließlich stationärem Kartenterminal und TI-Startpauschale für den Anschluss und damit zusammenhängenden Praxisausfall insgesamt 2.726,89 Euro. Ab dem III. Quartal 2018 sinkt die Erstattung für den Konnektor (für den nach wie vor die CompuGroup Monopolanbieter ist) auf nur noch 605,04 Euro, die Gesamterstattung damit auf 1726,89 Euro.

Das bedeutet, dass jede noch nicht an die TI angeschlossen Praxis, die jetzt den Anschluss ordert, auf jeden Fall rd. 1.200,- Euro draufzahlen muss, denn die Frist bis zum 30.06.2018 ist aufgrund des erforderlichen technischen Vorlaufs von mehreren Monaten bereits jetzt nicht mehr einzuhalten.

Der für die TI zuständige KBV-Vorstand Dr. Thomas Kriedel drohte auf der Vertreterversammlung der KBV am 07.05.2018 jetzt sogar einen Stopp des Rollouts an, für den Fall an, dass die Kassen weiterhin nicht bereit sind, bei der Erstattung nachzuschießen.

Bei gleicher Gelegenheit erklärte Dr. Kriedel auch, dass zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nur 15.000 Praxen an die TI angeschlossen sind – wie er andeutete, ausschließlich Kunden des PVS-Marktführers CompuGroup, zufällig auch bislang einziger Anbieter eines Konnektors (die anderen PVS-Anbieter müssen den Konnektor zukaufen).

Fazit: Soll ich mich an die TI anschließen lassen? Pro und Contra

Für den Anschluss der Praxis an die TI spricht:

1. Die auch von ärztlichen Standesvertretern immer wieder betonte Überzeugung, dass die „digitale Vernetzung“ alternativlos ist, große Chancen eröffne, und Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten ansonsten den Anschluss an das durch „Dr. Google“ und Co. rasant vorangetriebene „digitale Zeitalter“ der Patientenversorgung verpassen würden.

2. Das Argument, dass es nun mal so im Gesetz vorgeschrieben ist und daher Widerstand auch zwecklos wäre.

3. Die angedrohten Strafen, die widerspenstigen Praxen nach aktuellem Stand ab 01.01.2019 drohen (eine Verschiebung der Frist um ein weiteres halbes Jahr ist allerdings sehr wahrscheinlich), in Form von 1% Honorarabzug für jedes Quartal. Das mag für kleinere Praxen bei dreistelligen Beträgen noch verschmerzbar sein, großen Praxen entstehen dadurch allerdings leicht finanzielle Schäden von etlichen tausend Euro.

4. Die Erwartung, dass die Politik die Strafen für Anschluss-Verweigerer progressiv verschärfen wird, um jeden Widerstand zu brechen.

5. Die Befürchtung, dass früher oder später die Versichertenkarten nur noch über den Konnektor eingelesen werden können und die KV-Abrechnung nur noch über die TI möglich ist.

Gegen den TI-Anschluss spricht auf der anderen Seite:

1. Die TI bringt für den Praxisbetrieb keinerlei erkennbaren Nutzen, im Gegenteil. Das VSDM ist reine (nicht eigens vergütete) Verwaltungsarbeit für die Kassen. Die vorgesehenen „Mehrwertanwendungen“, wie z.B. der elektronische Notfalldatensatz oder der elektronische Medikationsplan bedeutet zusätzlichen Arbeitsaufwand und Haftungsrisiko - im EBM vergütet mit lächerlichen Beträgen (z.B. Erstellung des Notfalldatensatzes: 80 Punkte = 8,52, Euro, Pauschale für die Aktualisierung (die es allerdings auch geben soll, wenn gar nichts aktualisiert wird): 4 Punkte = 43 Cent usw.). Und was nützt es z.B., wenn Arztbriefe künftig „sicher digital“ noch schneller übermittelt werden können (was immerhin „extrabudgetär“ mit 28 Cent vergütet werden soll), wenn diese nach wie vor vom Arzt erst einmal „analog“ erstellt werden müssen (ohne gesonderte Vergütung)?

2. Durch die Vernetzung und Anbindung an die Krankenkassen über die TI wird eine Infrastruktur geschaffen, die potentiell eine umfassende Kontrolle und ein „data mining“ zum Nutzen von Krankenkassen und Industrie ermöglicht – Stichwort: „gläserne Praxis“ und „gläserner Patient“.

3. Trotz der im Gesetz versprochenen vollen Finanzierung durch die Krankenkassen kommen auf jeden Fall zusätzliche Kosten und Folge-Investitionen auf die Praxen zu, die sich kaum betriebswirtschaftlich amortisieren lassen. Dass bei einem in spätestens 5 Jahren erforderlichen Austausch der Konnektoren überhaupt noch nennenswerte Erstattungsbeträge von den Kassen gezahlt werden, darf man getrost bezweifeln, zumal wenn man bedenkt, dass dann der Betrieb einer Kassenpraxis ohne Konnektor gar nicht mehr möglich ist.

4. Durch die Integration des (extern durch den TI-Dienstleister ARVATO/Bertelsmann gewarteten) Konnektors in die Praxisverwaltungssysteme ergeben sich datenschutzrechtliche Probleme, die gerade auch angesichts der aktuellen Verschärfung der Vorschriften durch die Europäische Datenschutz-Grundverordnung offene Fragen aufwerfen.

5. Das System ist aufgrund seiner Komplexität – wie die ersten bekanntgewordenen Erfahrungen belegen - störanfällig, mit der Gefahr häufiger Systemabstürze, die den Praxisbetrieb immer wieder lahmlegen.

Auch wenn die Angst um degressiv schwindende Erstattungspauschalen und Sorge vor drohenden Honorarkürzungen Druck erzeugen, beim TI-Anschluss voranzupreschen, so wartet offensichtlich die große Mehrheit der Kollegenschaft zunächst erst einmal ab. Klar ist auf jeden Fall: Je größer die Zahl der noch Abwartenden oder Verweigerer ist, desto mehr gerät die Politik unter Druck, die gesetzten Fristen zu verlängern, und desto eher werden die Krankenkassen bereit sein, ihrer Verpflichtung zu vollen Erstattung der Kosten für die TI nachzukommen.

Gerade auch in Bayern formiert sich zunehmend auch öffentlicher Widerstand von Kollegen, die sich auch durch die angedrohten Honorarkürzungen nicht einschüchtern lassen wollen.

So die Postkarten-Aktion „Rote Karte für die TI“, maßgeblich initiiert von Dr. Thomas Weber, Zahnarzt in Krumbach, die schon bundesweit Schlageilen machte (www.facebook.com/Rote.Karte.TI - die Karten können kostenlos per eMail angefordert werden: rote-karte-fuer-ti@gmx.de ), oder die Fax-Aktion „Gegen das Telematik-Infrastruktur-Diktat“ der Kollegen Dr. Michel Dauphin, Nervenarzt in Ingolstadt und Dr. Andreas Meißner, Psychiater in München, unter dem Motto „Unsere Freiheit ist uns dieses 1 % des Honorars wert“ (www.aend.de/article/186435 - das Fax kann unter folgendem Link herunter geladen werden.

Der passive und aktive Widerstand gegen den TI-Anschluss scheint jetzt nun auch Wirkung zu zeigen. Und wohl auch die Erkenntnis bei der Politik, dass die auf dem Stand von vor 15 Jahren (also noch aus der Zeit vor der Smartphone-Ära) basierende Technologie im Grunde jetzt schon als veraltet gilt.

So äußerte Gesundheitsminister Jens Spahn am 05.05.2018 in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, dass er die TI in der Form, wie sie jetzt eingeführt werden soll, für nicht mehr zeitgemäß hält („Die Zeit von Kartenlesegeräten an Desktop-Computern … ist in jedem Fall nicht der Zugang, den sich die Bürger im Jahre 2018 mehrheitlich wünschen“…).

Am 09.05.2018 gab Bundeskanzlerin Angela Merkel ihrem Gesundheitsminister öffentlich „freie Hand“, das ganze Projekt ggf. einzustellen. Das Augenmerk der politischen Entscheidungsträger richtet sich offenbar zunehmend auf ein Smartphone-App basiertes umfassendes „digitales Bürgerportal“, in dem nicht nur die Gesundheitsdaten, sondern gleich auch noch die Daten von Meldeämtern und Finanzämtern elektronisch vernetzt werden sollen…

Droht also der inzwischen bereits hoffnungslos veralteten „digitalen Datenautobahn“ kurz nach ihrer endlichen Eröffnung nun die endgültige Schließung?

Die Zeichen dafür verdichten sich. Ein Grund mehr, abzuwarten.

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