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Wo geht’s denn hier zur Gesundheitspolitik?

Folgt man den derzeitigen Diskussionen – egal ob großes Kanzlerduell oder Fünfkampf der kleineren Parteien – so wird viel über Sicherheit und soziale Gerechtigkeit, aber gar nicht über Gesundheitspolitik und medizinische Versorgung geredet. Ein akzeptabler Zustand?

Der ÄND sprach mit Dr. Ilka Enger und Dr. Wolfgang Bärtl, die sich derzeit traditionell in der Vorbereitung zum Bayerischen Fachärztetag befinden.

Frau Enger, man hat ja derzeit den Eindruck, dass Gesundheitspolitik in Deutschland überhaupt nicht stattfindet. Haben die Ärzte endlich das Jammern aufgegeben, wie der Journalist Guido Bohsem vor kurzem in einem Kommentar feststellte?

Enger: Es gibt einen Spruch in Bayern: Wenn Bauern und Ärzte aufhören zu jammern, dann geht es ihnen wirklich schlecht. Nein - im Ernst: In Anbetracht der derzeitigen Situation im Gesundheitswesen, wissen die Ärzte nicht mehr, an wen sie sich überhaupt noch wenden sollen. Sehr viele, die das Rentenalter vor Augen haben, warten nur noch sehnsüchtig auf den Ruhestand. Unsere Nachfolger überlegen sich, ob sie sich den Tort einer selbständigen Praxis antun mit allen Risiken eines eigenen Unternehmens oder sich doch lieber in eine Anstellung flüchten. Und unsere Standesorganisationen denken eben nicht mehr an den freiberuflichen Arzt und dessen Bedürfnisse - auch finanzieller Art - sondern nur noch an das eigene Überleben, in dem sie darüber nachdenken, wie sie die nachfolgende Ärztegeneration selber anstellen können.

Was ist daran denn so verwerflich, Herr Dr. Bärtl? Es geht doch um Patientenversorgung und da kann es theoretisch doch egal sein, ob der Patient ins MVZ, in die Klinik oder in eine Einzelpraxis geht - Hauptsache er wird behandelt.


Bärtl: Ja, das mag die Sicht der Dinge sein, wenn man kurzsichtige Politik betreibt. Wer aber ein bisschen Statistiken zu lesen weiß, der sieht das Menetekel bereits mit flammenden Lettern an die Wand geschrieben.

Aus dem ZIPP wissen wir, dass ein ambulant tätiger Arzt im Durchschnitt 50 Stunden arbeitet. Geht solch ein Arztsitz an ein MVZ und wird von einem Angestellten besetzt, dann fehlen mindestens 10 Stunden ärztliche Arbeitszeit - der Angestellte arbeitet nur 40 Stunden. Das ist aber noch nicht alles. Die Statistik fördert zu Tage, dass unsere jungen Ärzte lieber nur Teilzeit arbeiten. Die Durchschnittsarbeitszeit der angestellten Ärzte liegt bei 26 Stunden pro Woche. Das heißt für einen selbständigen Arzt, der ausscheidet braucht man zirka zwei angestellte im MVZ - mal ganz ohne Betrachtung des operativen Overheads, den Selbständige noch nebenher betreiben. Was meinen Sie – wird diese Versorgung besser oder gar billiger? Ich denke nicht!

Das betrifft ja überwiegend die Fachärzte, die doch sehr viel häufiger im MVZ tätig sind. Bei den Hausärzten ist ja das MVZ als Modell noch nicht so verbreitet, oder?


Enger:
Ja sehen Sie, das ist der Trugschluss, dem auch so gestandene Politiker wie ein Herr Laumann aufsitzen, die sich derzeit nur um den etwas offensichtlicheren und gut kommunizierten Hausärztemangel kümmern. Wenn die Fachärzte in Bayern nicht mit in die Bresche springen würden, wäre das Problem bereits derzeit schon viel größer. Wir übernehmen als Fachärzte schon heute sehr viele Patienten der Grundversorgung, damit der Zug in die Kliniknotaufnahmen nicht noch schneller wird. Fast 70 Prozent der Fälle in Bayern werden derzeit in fachärztlichen Praxen erbracht.

Bärtl: Und das belastet gerade die eher konservativen, grundversorgenden Fachärzte massiv in ihrer Wirtschaftlichkeit. Je mehr Leistungen in der Regelversorgung im budgetierten Bereich anfallen, desto mehr Honorar jenseits der Obergrenze wird gekappt - mehr Arbeit und mehr Patienten für dasselbe Geld. Das hält keine Praxis auf Dauer aus.

Die SPD hat dem Spitzenverband Fachärzte ja beschieden, dass es im fachärztlichen Bereich kein Honorarproblem gebe. Das sehen Sie anders?


Bärtl: Nicht nur wir, auch Herr Professor Neubauer legt den Finger in seinem Gutachten, das von den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen so gerne ignoriert wird, in die Wunde. Bereits heute können die eher konservativen Fachärzte gerade im ländlichen Bereich von der Kassenmedizin keine attraktiven Honorare mehr erwirtschaften, die einen jungen Kollegen aus der Klinik locken. Und inzwischen ist es auch so, dass es nicht gelingt, dies über Privateinnahmen zu stützen.

 

Wenn dies alles so evident ist, warum wird das Thema von der Politik nicht auf die Agenda genommen?


Enger: Das hat verschiedene Gründe. Zum Einen versuchen meines Erachtens die Politiker gerade von der Bundesebene, dieses Problem zu vertagen. Ein Teil sagt, dass die Patienten doch zufrieden seien und man da keine schlafenden Hunde wecken sollte. Läuft doch alles. Der andere Teil erkennt, dass es ein Problem gibt und will dieses möglichst weit nach hinten vertagen, um nicht noch mehr unzufriedene Wähler zu haben. Ausgetragen wird das Ganze auf dem Rücken der Ärzte, des Pflegepersonals und auch der Patienten. Der Krug geht da halt so lange zum Brunnen bis er bricht - und der Riss in der Keramik ist schon lange und gut sichtbar.

Bärtl:
Das Thema interessiert inzwischen auch mehr die Kommunalpolitiker, die den Mangel direkt spüren und sich den Fragen ihrer Bürger ausgesetzt sehen. Das merken wir auch derzeit bei den Anmeldungen zum 5. Bayerischen Fachärztetag in Nürnberg, zu dem wir dieses Mal die Bürgermeister der Region eingeladen haben. Über 40 haben inzwischen schon zugesagt - auch Landräte haben sich für die Veranstaltung angemeldet.

Also kein Thema für den Bundestagswahlkampf? Müssen das nicht die Selbstverwaltung und die Kommunen miteinander auskarteln?


Enger: Das wäre deutlich zu kurz gesprungen. Dass die sogenannte Selbstverwaltung seit Jahr und Tag nicht die richtigen Weichen stellt und man immer wieder nur an Symptomen rumdoktert, hat man in der letzten Legislatur gesehen. 26 Gesetze in 4 Jahren, aber keine Kursänderung in Bezug auf die fortgesetzte Talfahrt der medizinischen Versorgung – und dabei wurde es nicht billiger, sondern nur schlechter für die Patienten. Und die Bürgermeister und regionalen Kräfte haben gar nicht die Möglichkeit, aus dem Korsett herauszukommen, das ihnen der Bund geschnürt hat. Genau deshalb brauchen wir endlich auch mutige Lösungen, die dazu führen, dass Ärzte wieder gerne arbeiten – eine davon ist, dass wir das 25-jährige Jubiläum der Budgetierung nicht erleben dürfen. Das muss genauso weg wie eben auch der Soli.

Bärtl: Ohne angemessene Preise für die Arbeit am Patienten wird die Versorgung der Bürger nicht mehr lange gelingen. Deshalb werden wir am 15.09.2017 auch die Aspiranten für den zukünftigen Bundestag sehr genau zu ihren Programmen befragen. Unsere Kollegen sind gerne eingeladen, uns bei dieser Befragung zu unterstützen und mit den Bundestagskandidaten zu diskutieren.

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Dr. Bärtl: »Das hält keine Praxis auf Dauer aus.«
Dr. Bärtl: »Das hält keine Praxis auf Dauer aus.«