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Fünf Fragen zur Wahl »Eine gesundheitspolitische Vision sucht man vergeblich«

Vor der Wahl hört sich der änd um, was sich Verbände von der kommenden Legislaturperiode wünschen. Im heutigen Teil erklärt Dr. Wolfgang Bärtl vom BFAV, warum die Gesundheitspolitik nicht die Ergebnisse ignorieren sollte, die das Neubauergutachten zutage gebracht hat.

Was sind aus Ihrer Sicht die drängendsten gesundheitspolitischen Herausforderungen, denen sich die Regierung in den kommenden vier Jahren stellen muss?

Die Nachwuchsprobleme in der ambulanten medizinischen Versorgung werden immer drängender und zunehmend virulent werden. Eine große Zahl von niedergelassenen Haus- aber auch Fachärzten, die sich noch vor der sogenannten Niederlassungssperre in den 90er Jahren niedergelassen und nach alter klassischer Prägung meist weit überdurchschnittliche Arbeitsleistungen erbracht haben, werden in den Ruhestand gehen und große Lücken insbesondere in den Regionen hinterlassen. Die große Herausforderung für die Politik wird darin bestehen, die drei großen "V" - Vertrauen, Verlässlichkeit und Vergütung - als essentielle Voraussetzung für den Nachwuchs glaubhaft sicherzustellen.
Die zukünftige Regierung muss sich hier ehrlich den Ergebnissen stellen, die das Neubauergutachten zutage gebracht hat. Das Problem des (Land-)Ärztemangels ist durch die seit Jahren fortgeführte Unterfinanzierung des Gesundheitswesens und die Fehlallokation von Geldern entstanden. Ein Ende der Budgetierung, beginnend mit den Grundleistungen, ist dabei die zentrale Forderung der gesamten niedergelassenen Ärzteschaft, an der die Politik nicht vorbeikommen wird. Eine Aufwertung der patientenzugewandten, konservativen und ressourcenschonenden Grundleistungen ist dabei unumgänglich. Das vorhandene Geld wird derzeit für eine zunehmende "Technokratisierung" und damit Entmenschlichung der medizinischen Versorgung ausgegeben. Seit langem fordern wir vom Bayerischen Facharztverband, dass die Grundleistung als arztintensive Arbeit am und für den Patienten definiert, gestärkt und extrabudgetär bezahlt werden muss, um auch die Versorgung auf dem Land wieder attraktiver zu machen. Die Zentralisierung der Organisation ärztlicher Arbeit und der medizinischen Strukturen ist der falsche Weg. Die zukünftige Regierung sollte dafür Sorge tragen, dass die Verantwortung für medizinische Versorgung wieder in die Regionen verlagert wird. Kommunen sollten mit ihren Ärzten, Krankenhäusern und nicht-ärztlichen Berufen zusammen die Verantwortung für ihre Versorgungsstrukturen übernehmen, so findet auch wieder mehr Wettbewerb um die besten Bedingungen statt. Die Regierung ist gehalten, die notwendigen Geldmittel für solche kleinräumigeren Verantwortungsgemeinschaften zu verteilen.

Wie fällt Ihr Fazit der im September endenden Legislaturperiode aus?

Man könnte sagen: "mission completed". Gesundheitsminister Gröhe hat alles, was an faulen Kompromissen in den Koalitionsvertrag einer großen Koalition hineinverhandelt wurde, 1:1 umgesetzt. Einen wirklichen roten Faden oder gar eine gesundheitspolitische Vision sucht man vergeblich. Sehr viele kleinteilige Gesetze haben die Situation für Patienten und Ärzte sogar verschlimmbessert. Beispiele sind das Antikorruptionsgesetz, welches zu einer großen Verunsicherung im Praxisalltag, aber auch an den Schnittstellen der Sektoren geführt hat und auch das E-Health-Gesetz, welches nun in der vorschnellen Einführung des Versichertenstammdatenabgleichs gipfelt, ohne getestete Infrastruktur und mit einem Monopolisten als Gerätelieferanten für den ebenfalls unzureichend geprüften Konnektor. Dieses Prestigeprojekt der Gesundheits-IT ist inzwischen veraltet und wesentlich überteuert und birgt ein hohes Sicherheitsrisiko für unsere Patienten und Praxen. Die sogenannte Gröhe-Trias - Terminservicestellen, Aufkauf von Praxen in überversorgten Gebieten und die Öffnung der Kliniken fur die ambulante Versorgung - waren untaugliche Lösungsansätze zur Überwindung einer über 20-jährigen einseitigen und damit falschen Honorarpolitik - zulasten der Grundversorgung. Das sogenannte Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, das unter Insidern eindeutig eine Schwächung darstellt und brandaktuell die Ablehnung der gemeinsamen GBA-Kandidaten sind weitere, schwere Treffer gegen das System der ärztlichen Selbstverwaltung.

Eine Bürgerversicherung würde das deutsche Gesundheitssystem...

gleich schlecht für alle machen! Diese Einheitsversicherung führt unumkehrbar in eine Staatsmedizin und damit in die reale Zweiklassenmedizin. Es geht ja bei diesem Experiment ohne Wiederkehr nicht - wie vorgeschoben - um "soziale Gerechtigkeit", sondern vielmehr darum, das in der Schieflage befindliche GKV-System noch ein letztes Mal auf Kosten der Privatversicherten und ihrer Altersrückstellungen zu stabilisieren. Damit wäre das duale Versicherungssystem mit dem befruchtenden Wettbewerb zwischen privater und gesetzlicher Versicherung und einem niederschwelligen Zugang zu niedergelassenen Haus- und Fachärzten ein für alle mal verloren.

Als neuen Bundesgesundheitsminister wünsche ich mir ...

einen Gesundheitsminister, der den Mut hat, eine grundsätzliche Reform der unüberschaubaren und hochkomplexen Regelungen und Strukturen eines SGB V anzugehen - und die Budgetierung als das Grundübel der zunehmenden Defizite in der ambulanten Versorgung und der Zerstrittenheit in der Ärzteschaft aufzuheben. Einen Gesundheitsminister, der einen ausgewogeneren Ausgleich zwischen Ordnungspolitik und Selbstbestimmung der Bürger schafft, aber auch die Patienten in eine Mitverantwortung für die veranlassten Kosten nimmt. Einen Gesundheitsminister, der nicht einseitig Sektoren bevorzugt, sondern auf die Leistungsbereitschaft, den Mut und die ärztlichen aber auch unternehmerischen Fähigkeiten niedergelassener Ärzte, als Motor in der ambulanten Versorgung setzt. Dieser Gesundheitsminister müsste den Mut aufbringen, langfristig zu denken und nicht nur auf Wählerstimmen zu schielen und vor allem das allzu enge Korsett des SGB V aufzuschnüren - bevor es endgültig zur Asphyxie im Gesundheitswesen führt.

Falls Hermann Gröhe (CDU) Bundesgesundheitsminister bleibt...

hoffe ich, dass er sich von dem Einfluss eines sozialistisch geprägten gesundheitspolitischen Koalitionspartners im Sinne einer bürgerlichen Politik freischwimmen kann. Er wird sich daher entscheiden müssen:
Wettbewerb und Leistung - oder Staatsmedizin und Dienst nach Vorschrift. Sonst wird Gesundheitspolitik weiterhin wie in einer Berufsarmee organisiert und er wird feststellen, dass er bei einer Staatsmedizin landet, bei der die Qualität der Versorgung immer weiter leiden wird.

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